Hintergrund
Der Käufer/Kläger erwarb im April 2015 beim Autohaus des Beklagten einen fabrikneuen Skoda Fabia 1,6 TDI zum Kaufpreis von 11.960,00 €.
Der Motor dieses Fahrzeugs war mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet, der mit einer sogenannten Abschaltsoftware ausgestattet wurde.
Der Kläger setzte dem Beklagten mit Schreiben vom 05.10.2015 eine Mängelbeseitigungsfrist bis zum 27.10.2015, der der Beklagte bis zum Tag des Urteils nicht nachkam.
Nach Einreichung der Klage erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrte die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen wegen 9.200 km Fahrleistung. Der Beklagte erwiderte, dass der Pkw nicht mangelhaft sei, da das Fahrzeug in seiner Fahrtauglichkeit nicht eingeschränkt sei. Er hält die Pflichtverletzung, falls denn ein Mangel vorliegen würde, für unerheblich, da sie mit einem Kostenaufwand von ca. 100,00 € beseitigt werden könne.
Aussage
Wegen der ausführlichen Auseinandersetzung des LG Braunschweig mit dem Begriff der Unerheblichkeit, sollen die Entscheidungsgründe im Wortlaut wiedergegeben werden:
„Die zulässige Klage hat im weit überwiegenden Umfang Erfolg.
I. Die Klage ist – auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens gemäß dem Klageantrag zu 2 – zulässig. Der Kläger hat ein gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliches rechtliches Interesse an der Feststellung des Annahmeverzuges durch den Beklagten. Durch die im Urteil tenorierte Feststellung, dass sich der Beklagte im Annahmeverzug befindet, vermag der Kläger den gem. § 756 Abs. 1 ZPO erforderlichen Beweis zu führen, dass sich der Beklagte mit der Annahme des streitgegenständlichen PKW im Verzug der Annahme befindet, sodass der Kläger im Rahmen der Zwangsvollstreckung den PKW nicht erneut anbieten muss, obwohl es sich um eine Zug-um- Zug-Leistung handelt.
II. Die Klage ist auch weit überwiegend begründet. Dem Kläger steht die Rückgewähr des gezahlten Kaufpreises, bzw. Wertersatzes abzüglich eines Nutzungsersatzes i.H.v. 1312,28 EUR für eine anrechenbare Laufleistung von 19.750 km Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen PKW zu.
1. Der Kläger ist wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten.
Gem. §§ 433, 437, 440, 323, 434 BGB kann der Käufer von dem Kaufvertrag durch Erklärung zurücktreten, wenn die Kaufsache mangelhaft ist, er dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und es sich nicht um einen unerheblichen Mangel handelt. Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Die in dem PKW installierte Software zur Beeinflussung der Schadstoffemissionen im Testbetrieb stellt jedenfalls einen Sachmangel i.S.d § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB dar. Der PKW weist keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die Installation und Verwendung einer sogenannten Abschaltsoftware ist bei PKW anderer Hersteller in einer vergleichbaren Fahrzeugklasse jedenfalls nicht bekanntermaßen üblich. Der Beklagte hat Entsprechendes auch nicht vorgetragen.
b) Der Kläger hat dem Beklagten auch eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt. Zwar ist die mit Schriftsatz vom 05.10.2015 gesetzte Frist zur Nacherfüllung von höchstens 3 Wochen zu kurz und daher nicht angemessen. Jedoch wurde durch die Fristsetzung eine angemessene Frist in Gang gesetzt (vgl. BGH, Urt. v. 21.06.1985 – V ZR 134/84 m.w.N.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 323, Rn. 14). Zwischen Fristsetzung und Rücktrittserklärung lagen mehr als 3 Monate, zwischen Fristsetzung und Zugang der Rücktrittserklärung über 5 Monate. Diese Frist ist zur Nacherfüllung angemessen; stellt man darüber hinaus in Rechnung, dass zwischen Fristsetzung und gerichtlicher Entscheidung über ein Jahr vergangen ist, ohne dass eine Nachbesserung angeboten oder durchgeführt worden, ist eine angemessene Frist zur Nacherfüllung in Gang gesetzt worden und fruchtlos verstrichen.
c) Das Rücktrittsrecht des Klägers ist auch nicht gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ausgeschlossen, da der Mangel nicht unerheblich ist.
Gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Schuldner eine Schlechtleistung erbracht hat, die Pflichtverletzung jedoch unerheblich ist. Die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast trägt der Beklagte als Rücktrittsgegner (vgl. Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 323, Rn. 254).
Dem Angebot des Beklagten, zum Beweis der Tatsache, dass die Kosten für die Behebung des Mangels durch Aufspielen einer neuen Software 100 EUR betrage, ein Sachverständigengutachten, bzw. eine Auskunft der Skoda Auto GmbH einzuholen, war nicht nachzukommen. Die Kosten der Mängelbeseitigung sind vorliegend ebenso wenig maßgeblich für die Interessenabwägung wie die Frage, ob zur Mängelbeseitigung weitere Maßnahmen an dem PKW durchgeführt werden müssen und der Marktwert des PKW infolge der Verwendung der streitgegenständlichen Software gesunken ist.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist für die Entscheidung der Frage, ob die Pflichtverletzung unerheblich ist, eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei ist zu differenzieren, ob ein behebbarer oder unbehebbarer Mangel vorliegt (vgl. BGH, Urt. v.28.05.2014 – VIII ZR 94/13).
Ist der Mangel behebbar, ist in der Interessenabwägung insbesondere auf das Verhältnis der Beseitigungskosten zum Kaufpreis abzustellen; weshalb das Gewicht der Gebrauchsbeeinträchtigung zunächst ausgeblendet bleibt. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung jedenfalls nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von 5 % des Kaufpreises übersteigt (BGH, aaO.).
bb) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass zu den Mängelbeseitigungskosten auch die Kosten für die Entwicklung der neu aufzuspielenden Software zu rechnen sind, die die Abschalteinrichtung ihrerseits abschalten soll. Die Kammer schließt sich für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht der Auffassung des LG München I (Urt. v.14.04.2016 – 23 O 23033/15) an. Die Entwicklungskosten fallen nicht bei dem Beklagten, sondern bei dem Hersteller an und sind deshalb außerhalb des rückabzuwickelnden Vertragsverhältnisses zu verorten, da der Beklagte jedenfalls kein Tochterunternehmen der Skoda Auto Deutschland GmbH darstellt. Wenn bei dem Beklagten keine Entwicklungskosten entstehen, kann sich der Kläger im Umkehrschluss nicht darauf berufen, dass die Pflichtverletzung des Beklagten nicht deshalb unerheblich ist, weil die Entwicklungskosten zu berücksichtigen seien.
cc) Es würde jedoch zu kurz greifen, die Interessenabwägung lediglich auf das Verhältnis von Kaufpreis und Mängelbeseitigungskosten zu reduzieren; erforderlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der die Kammer folgt, eine umfassende Interessenabwägung. Diese führt in dem konkret zu beurteilenden Fall dazu, dass die
Interessen des Klägers die des Beklagten so deutlich überwiegen, dass von einer bloß unerheblichen Pflichtverletzung nicht ausgegangen werden kann.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist eine nicht nur unerhebliche Pflichtverletzung regelmäßig indiziert, wenn eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13 m.w.N.). Nach unbestrittenem Klägervortrag übersteigt die tatsächlich ausgestoßene Stickstoffoxydmenge die von Skoda, bzw. dem Beklagten durch öffentliche Äußerungen angegebene Menge. Wenn öffentlich mit bestimmten Emissionswerten geworben wird, liegt die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 434 S. 1 BGB nahe. Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung.
(2) Denn der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Mangel für weniger als 5% des Kaufpreises beseitigt werden kann, wenn die Beseitigung des Mangels tatsächlich nicht in absehbarer Zeit durchgeführt werden kann. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Frage des fruchtlosen Fristablaufs hinsichtlich der Nacherfüllung eine gesonderte gesetzliche Voraussetzung für die Entstehung und Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts darstellt (vgl. § 323 Abs. 1 BGB). Im konkreten Fall kommt diesem Kriterium jedoch Relevanz auch hinsichtlich der Frage zu, ob die Pflichtverletzung unerheblich ist.
Es begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken, dass sich der Beklagte einerseits darauf beruft, dass die Pflichtverletzung unerheblich ist, andererseits die Entwicklungsprozesse für die Beseitigung des Mangels bereits mehr als 1 Jahr in Anspruch nehmen, ohne dass für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Zeitpunkt in Aussicht steht, zu dem die neue Software aufgespielt und der Mangel – laut Behauptung der Beklagten – vollständig beseitigt werden kann. Bereits der erhebliche zeitliche Aufwand für die Beseitigung des Mangels spricht eindeutig dagegen, dass die Pflichtverletzung des Beklagten unerheblich ist, ohne dass einseitig und die Interessenlage der Parteien verkürzend auf die behaupteten Mängelbeseitigungskosten abgestellt wird.
Der Beklagte kann sich darüber hinaus nicht darauf berufen, dass die Mängelbeseitigungskosten im Vergleich zu dem Kaufpreis unerheblich sind, wenn die Mängelbeseitigung tatsächlich nicht durchgeführt werden kann. Es liegt ein Fall der zumindest vorübergehenden tatsächlichen Unmöglichkeit der Nacherfüllung i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB vor (vgl. zur vorübergehenden Unmöglichkeit Ernst, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 275, Rn. 135ff.), was in die Interessenabwägung einzustellen ist und für den hier zu beurteilenden Fall dazu führt, dass die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist, da sie zumindest nicht in absehbarer Zeit erfolgreich durch Nacherfüllung behoben werden kann. Aus dem Gedanken der jedenfalls vorübergehenden Unmöglichkeit der Nacherfüllung folgt auch, dass der Mangel jedenfalls derzeit nicht behebbar ist. Dies rechtfertigt es auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Wertung, dass die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist, da der Bundesgerichtshof davon ausgeht, dass die Pflichtverletzung bei einem nicht behebbaren Mangel nicht unerheblich ist (vgl. BGH, Urt. v.28.05.2014 – VIII ZR 94/13). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Bundesgerichtshof von einem dauerhaft verbleibenden Mangel ausgeht, der die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausschließt. Die Unsicherheiten, ob und wann eine vollständige Nacherfüllung durch die Beklagte gewährleistet werden kann, müssen jedoch der Beklagtenseite zur Last fallen.
Aus den genannten Gründen vermag sich die Kammer den Entscheidungen des Landgerichts Bochum (Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15) sowie des Landgerichts Münster (Urt. v. 11.03.2016 – 11 O 341/15) hinsichtlich der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht anzuschließen.
2. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch jedoch nicht im vollen Umfang zu. Der Kläger hat aufgrund der von dem Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsentschädigung i.H.v. 1312,28 EUR lediglich Anspruch auf Zahlung von 10.647,72 EUR. Gem. §§ 346 Abs. 1, 2, 323 Abs. 1 BGB hat der Kläger im Fall des Rücktritts empfangene Leistungen
zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben, bzw. Wertersatz zu leisten. Zu den gezogenen Nutzungen gehören gem. § 100 BGB auch die Vorteile, die dem Kläger aus dem Gebrauch der Sache
erwachsen sind.
Unstreitig hat der PKW seit Gefahrübergang eine Laufleistung von 20.000 km. Der Kläger hat in seine Berechnung lediglich eine Fahrleistung von 9.500 km abzüglich 250 km von dem Kaufpreis in Abzug gebracht.
In Anbetracht der tatsächlichen Laufleistung und unter Berücksichtigung der entsprechender unter den Parteien vereinbarten bereits abgegoltenen und insoweit im hiesigen Rechtsstreit nicht berücksichtigungsfähigen Teillaufleistung von 250 km ist nach den Grundsätzen der kilometeranteiligen linearen Wertminderung (vgl. hierzu und zur Berechnungsformel: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. 1162 ff.) wegen der anzurechnenden Laufleistung von 19.750 km ein Nutzungsersatz i.H.v. 1312,28 EUR von dem Kaufpreis in Abzug zu bringen. Dabei ist das Gericht von der unstreitigen zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 200.000 km ausgegangen.
III. Dem Kläger stehen Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (17.03.2016) gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB zu.
IV. Der Klageantrag zu 2) ist begründet, da sich der Beklagte gem. § 293 BGB im Verzug der Annahme befindet, nachdem der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und dem Beklagten die Übergabe und Übereignung angeboten hat. In dem Klageantrag zu 1) ist das Angebot des Klägers an den Beklagten zu erblicken, den PKW an ihn zu übergeben und zu übereignen.“