Datum 21.07.2016
Category Allgemein

Hintergrund

Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend. Der Kläger behauptete, das Fahrzeug der Beklagten sei rückwärts gefahren und habe sein Fahrzeug beschädigt, was von Beklagtenseite bestritten wurde.

Weiter besteht Streit hinsichtlich der Verwertbarkeit der durch die Bordkamera des klägerischen Fahrzeugs aufgezeichneten Filmaufnahmen, welche das Unfallgeschehen darstellen.

Das Amtsgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Nachweis für den Anstoß gegen das klägerische Fahrzeug aufgrund des Sachverständigengutachtens nicht zu führen sei. Die Videoaufnahmen aus der Bordkamera dürften nicht verwendet werden. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Die Berufungskammer gab ein weiteres Sachverständigengutachten in Auftrag verbunden mit der Vorgabe, den Videofilm aus der Kamera des klägerischen Fahrzeugs auszuwerten.

Aussage

Das Landgericht kam zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Videoaufnahmen im vorliegenden Fall kein Verwertungsverbot besteht.

Zwar kommen Teile der Rechtsprechung im Ergebnis zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. AG München, Hinweisbeschluss vom 13.08.2014; LG Heilbronn oder LG Memmingen, Urteil vom 14.01.2016, AZ: 22 O 1983/13 – dort: Überwachung eines Zufahrtsbereichs zu einem privaten Anwesen mittels Boardkamera).

Dagegen wird auch die Meinung vertreten, dass Aufnahmen von Verkehrsvorgängen mittels Onboard-Kameras zum Beweis von Haftungsansprüchen grundsätzlich verwertbar sein sollen (vgl. Greger in Zöller, 31. Auflage, § 286 Rdnr.15c, LG Frankenthal, Urteil vom 30.12.2015, AZ: 4 O 358/15). Die Kammer folgt der zuletzt genannte Auffassung, wobei es letztendlich nicht darauf ankommt, ob der Kläger vorliegend gegen das Datenschutzgesetz verstoßen hat, indem er eine Kamera in seinem Auto betrieben hat, die fortlaufend das Verkehrsgeschehen vor dem klägerischen Fahrzeug aufzeichnet und zwar solange, bis der Speicher der Kamera erschöpft ist. Ab Erschöpfung des Speichers erfolgt ein Überschreiben der aufgezeichneten Daten. Eine dauerhafte Speicherung bestimmter Frequenzen erfolgt nur manuell oder automatisch im Fall eines Unfallgeschehens.

Zu unterscheiden ist daher zwischen der Frage der unzulässigen Beweismittelbeschaffung (hier: etwaiger Verstoß gegen das Datenschutzgesetz) und zwischen dem Verbot der Verwertung im Prozess.

Die Kammer erachtete es bereits als zweifelhaft, ob die Bestimmung des § 6 b) BDSG überhaupt einschlägig ist. Insbesondere Absatz 2 dieser Norm ist ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber hier festinstallierte Kameras vor Augen hatte, die den Verkehr systematisch in einem bestimmten Bereich überwachen. Ein etwaiger Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz bedeutet auch nicht automatisch, dass das so erlangte Video im vorliegenden Verfahren nicht verwendet werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine rechtsfehlerhafte Beweiserhebung unter Nutzung einer Dauervideoaufzeichnung nicht zwingend zur Unzulässigkeit der Verwertung der gewonnenen Beweise führt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.05.2011, 2 BvR 2072/10). Dies ist insbesondere nicht der Fall, wenn weder der absolute Kernbereich der privaten Lebensstellung noch die engere Privatsphäre berührt sind.

Einen Verstoß gegen § 22 Kunsturhebergesetz lehnte die Kammer ab, da die Beklagte selbst weder gefilmt noch fotografiert wurde, sondern lediglich ihr Fahrzeug. § 22 KUG verbietet lediglich das Verbreiten und zur Schau stellen von Aufnahmen, nicht jedoch das Fotografieren selbst.

Es kommt auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht. Unter Abwägung aller in Betracht kommenden Interessen ist der vom Kläger verursachte Grundrechtseingriff als geringfügig zu bewerten. Das laufende Filmen vom Auto aus erfolgt wahllos und ohne bestimmte Absicht. Eine systematische  Erfassung anderer Verkehrsteilnehmer zur Erstellung von Bewegungsprofilen findet nicht statt. Die Filmaufnahmen werden, soweit es nicht zu einem Unfall kommt, immer wieder überschrieben. Die abgebildeten Personen bleiben anonym und werden daher nicht in ihren Rechten betroffen. Das wahllose und zufällige Erfassen von sonstigen Passanten und Verkehrsteilnehmern ist praktisch ohne Grundrechtrelevanz, da dieses Erfassen für den Kläger mit keinem Erkenntnisgewinn verbunden ist. Auch sieht die Kammer keinen gravierenden Grundrechtseingriff darin, wenn andere Verkehrsteilnehmer, deren Identität nicht geklärt wird, gefilmt werden, ohne dass dies für den Kamerabetreiber mit einem Erkenntniswert verbunden ist.

Relevanz kommt der Erfassung des Verkehrsgeschehens erst in dem Moment zu, in dem es zu einem Unfall kommt. Nach einem Unfall ist es üblich, die Unfallspuren und unter Umständen die umstehenden Beteiligten fotografisch zu erfassen und diese Erhebungen dann in den Prozess einzubringen. Demnach ist es eindeutig zulässig, nach einem Unfall zu filmen.

Die Kammer vertritt die Auffassung, dass es für die Verwertbarkeit der gefertigten Aufnahmen im Zivilprozess nicht darauf ankommen könne, welche Größe der Datenspeicher hat oder wie lange vor dem Unfall die Bordkamera eingeschaltet wurde. Vielmehr sei eine Abwägung der Interessen der Beteiligten im Einzelfall geboten. Die Gefahr zunehmender Datenerhebung, auch durch Private, mag bestehen, jedoch kann dieser Gefahr aus Sicht der Kammer nicht dadurch begegnet werden, dass die Zivilgerichte so gewonnene Erkenntnisse ohne Rücksicht auf den Einzelfall nicht zur Kenntnis nehmen.

Im vorliegenden Fall sind die konkreten Interessen der Beklagten lediglich insoweit betroffen, als man auf einem Film und auf Fotos das Beklagtenfahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt kurz rückwärtsfahren sieht. Die Beklagte selbst ist nicht zu erkennen. Von einem gravierenden Grundrechtseingriff ist nicht auszugehen. Umgekehrt  ist der Kläger beweislos. Ohne Verwertung der Videoaufnahmen müsste der Kläger eine Klageabweisung mit der Begründung hinnehmen, das Beklagtenfahrzeug sei möglicherweise gar nicht rückwärts gefahren bzw. nicht gegen das klägerische Fahrzeug gestoßen. Derartiges ist nach Auffassung der Kammer schwer zu vermitteln, zumal das Interesse der Beklagten eigentlich nur darin besteht, dass ein streitiger Verkehrsunfall nicht aufgeklärt werden soll. Dieses Interesse ist nicht schützenswert.

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