Datum 22.06.2017
Category Allgemein

Hintergrund

Das Berufungsurteil des OLG Hamm befasst sich mit Informationspflichten einer Fachwerkstatt gegenüber ihren Kunden zu Rückrufaktionen wegen sicherheitsrelevanter Mängel an einem Fahrzeug.

Die Klägerin des Verfahrens begehrt von der beklagten Fachwerkstatt Schadenersatz aufgrund einer vermeintlichen Pflichtverletzung im Rahmen einer werkvertraglichen Leistung dieser Fachwerkstatt.

Die Klägerin erwarb im Oktober 2010 ein Importfahrzeug, welches in den USA hergestellt wurde und lediglich über den Importweg nach Deutschland eingeführt wurde.

Im streitbefangenen Zeitraum existierte für diese Fahrzeugmarke kein autorisiertes Händlernetz und keine Niederlassung des Unternehmens in Deutschland.

Die Beklagte betreibt eine Fachwerkstatt für Kraftfahrzeuge und wirbt für sich als autorisierte Fachwerkstatt/ Service für Fahrzeuge dieser Marke – also der Marke des Fahrzeugs der Klägerin.

Die Klägerin ließ deshalb bei der Beklagten Reparatur- und Wartungsarbeiten an ihrem Importfahrzeug durchführen.

Ab Februar 2013 fand eine Rückrufaktion des Herstellers auch für die Baureihe des klägerischen Fahrzeugs statt. Die Rückrufaktion erfolgte wegen einer nicht ausreichend gesicherten Mutter im Getrieberad der Hinterachse.

Am 31.10.2013 führte die Beklagte Wartungsarbeiten im Auftrag der Klägerin an deren Fahrzeug durch. Hierbei wurden die Anweisungen des Herstellers im Rahmen der Rückrufaktion vom Beklagten nicht umgesetzt.

Die Klägerin hatte vom Hersteller keine Mitteilung über die Rückrufaktion erhalten.

Im April 2014 erlitt das klägerische Fahrzeug aufgrund einer Hinterachsblockade während der Fahrt erhebliche Beschädigungen. An der Hinterachse trat hierbei ein Totalschaden auf, diese musste vollständig ausgetauscht werden.

Es steht fest, dass dann, wenn entsprechend der Rückrufaktion die sogenannte Mutter gesichert worden wäre, der Schaden nicht entstanden wäre.

Die Klägerin, die durch eigene Nachforschungen Kenntnis von der Rückrufaktion erlangt hatte, nahm daraufhin die Beklagte auf Grundlage eines Kostenvoranschlags auf Netto- Reparaturkosten sowie einen merkantilen Minderwert als Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte durch einen fehlenden Hinweis auf die Rückrufaktion ihre werkvertraglichen Aufklärungspflichten ihr gegenüber im Rahmen des Werkvertrags verletzt habe.

Sie behauptet, dass der Rückruf der Beklagten als autorisierte Fachwerkstatt, als die sie sich in ihrer Werbung bezeichnet, bekannt sein musste; zumindest hätte sich die Beklagte Kenntnisse hierüber – nämlich über die Rückrufaktion – verschaffen müssen.

Die Beklagte war der Auffassung, dass die Klägerin sich selbst über die Rückrufaktion hätte informieren müssen und sie selbst keine Überprüfungspflichten hinsichtlich etwaiger Rückrufaktionen habe. Nach Auffassung der Beklagten richte sich die Rechtslage nach dem Herstellerland, mithin nach amerikanischem Recht. Eine Niederlassung, Servicestation oder freie Werkstatt sei demgemäß nicht verpflichtet, Kunden etwaige Rückrufaktionen mitzuteilen.

Das LG Bochum als Vorinstanz gab der Klage in weit überwiegendem Umfang mit Urteil vom 16.06.2016 (AZ: 6 O 229/15) statt. Das LG Bochum führte im Wesentlichen aus, dass aufgrund des Werbeauftretens der Beklagten eine gesteigerte Informations- und Nachforschungspflicht bestanden habe, da aus den Angaben der Beklagten über sich selbst vernünftigerweise nur geschlossen werden könne, dass sie selbst den Anspruch an sich stellt, vollumfänglich über Fahrzeuge der Herstellermarke informiert zu sein. Demgemäß habe die Klägerin erwarten können, dass die Beklagte nach Maßgabe der Hinweise und Richtlinien des Herstellers handelt und der Rückruf habe der Beklagte ca. acht Monate nach Bekanntgabe der Rückrufaktion bekannt sein können.

Aussage

Das OLG Hamm wies die Berufung der Beklagten als unbegründet zurück und führt hierzu wörtlich aus:

„Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 634 Nr. 4, § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu.

Unstreitig hat die Klägerin die Beklagte am 31.10.2013 mit der Inspektion ihres Fahrzeugs Typ D E beauftragt. In der Sache handelt es sich um einen Werkvertrag darauf gerichtet, das Kraftfahrzeug für die nächste Zeit gebrauchs- und fahrbereit zu machen (Sprau in: Palandt, BGB, 73. Auflage, Einf v § 631 Rn. 30).

Die Beklagte hat eine ihr aus dem Werkvertrag obliegende Pflicht verletzt, indem sie es unstreitig unterlassen hat, die Klägerin – nach Überprüfung der Internetseite des Fahrzeugherstellers auf Hinweise über einen Rückruf begründende Mängel – über das Bestehen des „Safety Recall N08“ zu informieren.

Die Beklagte war aufgrund des Wartungsvertrages verpflichtet, sich die zumutbar zu erlangende Kenntnis von derart schwerwiegenden, sicherheitsrelevanten Mängeln zu verschaffen.

Gegenstand des Auftrags vom 31.10.2013 war unstreitig zumindest eine „kleine Inspektion“. Auch wenn der Arbeitsumfang im Verhältnis zu einer „großen Inspektion“ geringer gewesen wäre, hatte aus der berechtigten Sicht des Fahrzeughalters, auf deren Einbeziehung in den Vertrag der Betreiber der Werkstatt sich nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte einlassen musste, eine umfassende Prüfung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs zu erfolgen. Dies beinhaltete auch die Überprüfung zumutbar zur Verfügung stehender Informationsquellen, wie hier die Internetseite des Herstellers, auf verkehrssicherheitsrelevante Rückrufaktionen. Die Klägerin ist nach außen als Fachwerkstatt gerade für Fahrzeuge der Firma E aufgetreten. Die Klägerin konnte daher – wie die übrigen Kunden – in berechtigter Weise annehmen, dass die Beklagte in Bezug auf E-Fahrzeuge eine vollständige Kenntnis über alles Notwendige für die Verkehrs- und Betriebssicherheit hat oder sich – soweit nicht vorhanden – vor Durchführung entsprechender Inspektionsaufträge besorgt.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen sogenannten „Grauimport“ handelt. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, bewirbt die Beklagte ihr Unternehmen als „autorisierte Service-Vertragswerkstatt“ unter anderem für die Marke E, ohne eine Beschränkung auf in Deutschland vertriebene oder offiziell importierte Fahrzeuge vorzunehmen. Damit war aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers an der Stelle der Klägerin nicht zu erkennen, dass „grau importierte“ Fahrzeuge einer weniger effektiven Fehlerkontrolle unterlagen als regulär vertriebene oder eingeführte Fahrzeuge.

Vielmehr hätte es der Beklagten gerade im Hinblick auf ein „grau importiertes“ Fahrzeug, hinsichtlich dessen die Beklagte nach eigenen Angaben keinen Zugriff auf Computerprogramme des Herstellers haben will, in denen Rückrufaktionen einzusehen gewesen wären, oblegen, sich über andere ihr zugängliche Quellen zu informieren. Hierzu gehört die Internetseite des Herstellers, auf der die Beklagte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts durch Eingabe der Fahrgestellnummer eine entsprechende Abfrage hätte durchführen können. Der Beklagten war bekannt, dass es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen „Grauimport“ handeln musste und die Klägerin vom Hersteller nicht über Rückrufaktionen informiert wird. Auch aus diesem Grund war es deshalb im Rahmen des geschlossenen Werkvertrages ihre Aufgabe als Fachwerkstatt, sich selbst zu informieren.

Entgegen der Auffassung der Beklagten werden hierdurch die werkvertraglichen Pflichten nicht über Gebühr ausgeweitet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Überprüfung die Beklagte nicht mit handwerklichem Arbeitsaufwand belastet hätte, die Überprüfung auf Rückrufaktionen aber für die Auftraggeber sowohl unter sicherheitsrelevanten Gesichtspunkten als auch bei wirtschaftlicher Betrachtung von besonderer Bedeutung ist.

Es kann dahinstehen, ob das Kraftfahrtbundesamt erst später über die Rückrufaktion „Safety Recall N08“ informiert worden ist. Es oblag der Beklagten, sich selbst aktiv um die notwendigen Informationen zu kümmern und nicht auf die Information Dritter zu warten. Zudem ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Beklagte im Regelfall von einer zeitnahen Veröffentlichung von Rückrufaktion auch bei Grauimporten ausgehen konnte oder ohne Verschulden hiervon ausgegangen ist.

Ein Vertretenmüssen der Beklagten wird vermutet; § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Anhaltspunkte für ein fehlendes Verschulden sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung war nicht erforderlich, da bereits ein Schaden am Fahrzeug eingetreten ist, der durch ein Nachholen des pflichtgemäßen Verhaltens nicht beseitigt würde.

Das Landgericht hat festgestellt, dass die fiktiven Mängelbeseitigungskosten 6.058,32 € betragen und auch nach der Reparatur ein merkantiler Minderwert von 2.521,01 € verbleibt. Dies greifen die Parteien im Berufungsverfahren nicht an. Es handelt sich um gemäß § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 BGB ersatzfähigen Schaden. Die Kausalität des unterlassenen Hinweises auf die Rückrufaktion für den eingetretenen Schaden ist zwischen den Parteien nicht (mehr) im Streit.

Ein Anspruchsausschluss folgt nicht aus den Regelungen des Produkthaftungsgesetzes. Die im hiesigen Rechtsstreit geltend gemachten Ansprüche haben mit Produkthaftung im Sinne dieses Gesetzes nichts zu tun. Nach § 15 Abs. 2 ProdHaftG bleibt auch eine Haftung nach anderen Vorschriften ausdrücklich unberührt.

Den zuerkannten Zinsanspruch hat die Beklagte bereits nicht zulässig mit der Berufung angegriffen, da es insoweit an einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Berufungsbegründung fehlt. Jedenfalls folgt der Anspruch aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB und §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die zulässige Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verzinsung des zuerkannten Betrages vor dem 08.09.2015 nicht zu. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich vor dem 08.09.2015 mit dem Ausgleich der Schadensersatzforderung nicht in Zahlungsverzug.

Eine Mahnung der Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzbetrag kann nicht festgestellt werden. Insbesondere enthalten die Schreiben der Klägerin vom 28.04.2014 und 13.05.2014 keine eindeutige Aufforderung zur Leistung des Schadensersatzbetrages. Vielmehr hat die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 28.04.2014 lediglich aufgefordert, die Verpflichtung zum Schadensersatz dem Grunde nach anzuerkennen. Das Schreiben vom 13.05.2014 enthält eine Aufforderung zur Mangelbeseitigung, nicht zur Schadensersatzleistung.

Eine die Mahnung entbehrlich machende ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung (§286 Abs. 2 Nr. 3 BGB) ergibt sich nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 06.05.2014. An das Vorliegen einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Die Weigerung muss als letztes Wort aufzufassen sein. Zwar hat die Beklagte in diesem Schreiben ein Anerkenntnis dem Grunde nach sowie Ansprüche sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach abgelehnt. Diese Ablehnung hat sie aber im Wesentlichen damit begründet, dass ihr ein zustehendes Nachbesserungsrecht nicht eingeräumt worden sei. Auch wenn der Beklagten tatsächlich kein Nachbesserungsrecht zustand, da der Schaden durch eine erfolgte Nacherfüllung nicht hätte beseitigt werden können, hat sie durch ihr Verhalten jedenfalls nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie Gewährleistungsansprüche ernsthaft und endgültig ablehnt. Im Hinblick auf den streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch gilt dies umso mehr, als die Klägerin zu diesem Zeitpunkt ihren Schaden noch nicht einmal beziffert hatte.“

Praxis

Laut dem OLG Hamm haben sich Fachwerkstätten unter Ausnutzen zumutbarer Informationsquellen – wie etwa der Internetseite des Herstellers – über verkehrssicherheitsrelevante Rückrufaktionen zu informieren, da der Kunde diesbezüglich erwartet, dass die Werkstatt über alle notwendigen Kenntnisse für die Verkehrs- und Betriebssicherheit verfügt bzw. sich diese vor dem Durchführen von Inspektionsarbeiten verschafft.

Das Urteil des OLG Hamm befasst sich sehr informativ mit Aufklärungspflichten über Rückrufaktionen, auch wenn die Werkstatt keinem autorisierten Händlernetz angehört und auch keine Niederlassung des Herstellers darstellt.

Zu beachten ist, dass das OLG Hamm die Revision gegen das Urteil zuließ. Das Urteil ist demgemäß noch nicht rechtskräftig, die Revision ist beim BGH (AZ: VII ZR 51/17) anhängig.

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