Datum 09.09.2017
Category Allgemein

Hintergrund

Soweit ersichtlich entschied der 21. Zivilsenat des OLG München als erstes Oberlandesgericht durch Endurteil in einem Berufungsverfahren zum Abgassachmangel.

Der Käufer der gegenüber dem beklagten Verkäufer die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Kraftfahrzeug (Audi A3 TDI Sportback) wegen des Abgasskandals begehrte, war vor dem LG Ingolstadt (Urteil vom 15.11.2016, AZ: 21 O 970/16) mit seinem Begehren unterlegen.

Er erklärte unter anderem die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises.

Unter anderem erhob der beklagte Fahrzeugverkäufer vorsorglich die Einrede der Verjährung.

Das LG Ingolstadt hat die Klage mit der Begründung, dass nicht erkennbar sei, worin eine arglistige Täuschung des Audi-Zentrums liegen solle, zurückgewiesen. In jedem Fall hätte der Käufer darüber hinaus Nachbesserung verlangen müssen.

Die Gründe für die Entscheidung des LG Ingolstadt wurden nun durch das OLG München bestätigt. Der Sachverhalt war aus Sicht des OLG München offenbar so eindeutig, dass eine Revision nicht zugelassen wurde.

Aussage

Das OLG München hielt die zulässige Berufung für nicht begründet, da der Kläger weder aus Bereicherungsrecht nach einer Anfechtung des Kaufvertrags noch aus Gewährleistungsrecht nach Rücktritt wegen des Sachmangels die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs gegenüber dem Fahrzeugverkäufer verlangen kann. Es führt hierzu wörtlich aus:

„1. Das Landgericht hat zu Recht eine erfolgreiche Anfechtung des Kaufvertrags verneint. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts nimmt der Senat Bezug. Die Beklagte hat weder selbst arglistig getäuscht, noch muss sie sich Wissen des Herstellerkonzerns in Bezug auf Manipulationen an der Abgassoftware des verkauften Fahrzeugs zurechnen lassen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte entgegen ihrem Vortrag zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses Kenntnis (oder auch nur den Verdacht) von Manipulationsmaßnahmen seitens des Herstellers hatte, liegen nicht vor. Dem Vorbringen der Beklagten, sie sei … eine eigenständige, unabhängige Kfz-Händlerin, vermochte der Kläger ebenfalls nichts Substanzielles entgegenzuhalten. Hiervon ist mithin auszugehen.

Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Beklagte vorwerfbar einen Rechtsschein gesetzt hat, der es rechtfertigen könnte, den Fahrzeughersteller ihrem Verantwortungskreis zuzuordnen. Die Beklagte und die Herstellerfirma sind selbstständige rechtliche Personen mit jeweils eigenständigen Pflichtenkreisen. Auch die Tatsache, dass es in den Räumlichkeiten der Beklagten Werbeprospekte zu Fahrzeugen der Marke Audi geben mag, die von der AUDI AG stammen, rechtfertigt keine andere Beurteilung, zumal nicht dargetan wurde, dass der Inhalt von Werbeprospekten beim streitgegenständlichen Kauf eine Rolle gespielt hätte.

Eine Zurechnung einer etwaigen arglistigen Täuschung des Herstellers im Verhältnis zu der Beklagten als unabhängige Händlerin, die – wie vorliegend – einen von ihr erworbenen Gebrauchtwagen an einen Kunden verkauft hat, kommt damit nicht in Betracht (so z. B. LG Bamberg, Urt. v. 22.07.2016 – 11 O 62/16; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 21.06.2016 – 4 O 441/16; vgl. auch … OLG Hamm, Beschl. v. 18.05.2017 – 2 U 39/17; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.05.2017 – 19 U 5/17; OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.01.2017 – 2 U 39/16; sowie die Verfügung des Vorsitzenden des OLG Naumburg vom 01.12.2016 – 5 U 129/16). Der Hersteller ist vielmehr als Dritter i. S. des § 123 II BGB zu qualifizieren.

2. Auch ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus Gewährleistung besteht nicht. Auf Gewährleistungsansprüche hat sich der Kläger erstmals in der Berufung gestützt.

a) Der Kläger ist mit Schreiben vom 08.01.2016 vom Kaufvertrag zurückgetreten. Zwar hat er ausdrücklich nur eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt, doch muss für den Fall der Unwirksamkeit der Anfechtung, anders als das Landgericht meint, die Umdeutung in eine Rücktrittserklärung wegen Mängeln in Betracht gezogen werden (vgl. BGH, Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05 Rn. 16).

b) Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass der erworbene Wagen nicht die vertraglich vorausgesetzte Beschaffenheit hatte, mithin ein Mangel gegeben ist. Denn es ist unstreitig, dass der Wagen ausweislich der in den Vertrag einbezogenen Fahrzeugdaten (Anlage K 2) über das „Abgaskonzept EU5“ verfügen sollte, das Fahrzeug jedoch vom „Abgasskandal“ betroffen ist, die Abgasnorm „Euro 5“ also nicht erfüllt. Dementsprechend wurde der Kläger darüber informiert, dass es „Beanstandungen am Emissionsverhalten“ gebe. Die zentrale Problematik des Falles liegt vielmehr darin, ob vorliegend eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB entbehrlich war (hierzu unten c) und ob der Mangel erheblich ist (hierzu unten d).

c) Der Kläger hat kurz nach Erhalt der Kundeninformation den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Unstreitig hat der Kläger weder eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt, noch hat er sich mit der Beklagten wegen einer Nachrüstung des Wagens in Verbindung gesetzt. Soweit der Kläger auf Frage des Senats in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, er habe darauf gewartet, dass man auf ihn zukomme und ihm einen Termin gebe, ist festzustellen, dass die Beklagte im Verfahren wiederholt auf die Notwendigkeit und Möglichkeit der Nachbesserung hingewiesen hat. Weswegen der Kläger hierauf nicht reagiert hat, erschließt sich nicht. Noch im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte dem Kläger die umgehende Nachrüstung angeboten. Abgesehen davon ist es Sache des Käufers, die Nachbesserung der Kaufsache zu ermöglichen, indem er die Sache zur Verfügung stellt, und eine Frist zur Mängelbeseitigung zu setzen.

Eine Fristsetzung war nach §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB auch erforderlich. Anders als in anderen Fällen ergibt sich weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus den vorgelegten Anlagen, dass die Nachrüstung nicht zeitgerecht vorgenommen worden wäre oder unzumutbar lange gedauert hätte, wenn der Kläger den Wagen zur Verfügung gestellt hätte. Dem Argument des Klägers, er sei arglistig getäuscht worden, deswegen müsse er auch keine Nachbesserung vornehmen lassen, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Wie dargelegt muss sich die Beklagte die Kenntnis von Verantwortlichen des Herstellerkonzerns zur Manipulation der Abgaswerte nicht zurechnen lassen.

Auch aus anderen Gründen war es nicht entbehrlich, die Beklagte zur Nacherfüllung aufzufordern und hierzu eine Frist zu setzen. Nach § 440 BGB bedarf es keiner Fristsetzung, wenn von vornherein feststeht, dass die Nacherfüllung fehlschlägt, oder wenn sie dem Käufer unzumutbar ist. Die diesbezüglichen Voraussetzungen hat der Kläger nicht hinreichend substanziiert dargetan.

Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat ohnehin erst in der Berufung geltend gemacht, dass „die Nachrüstung als Nachbesserungsarbeit für den Kläger unbehelflich“ sei. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang in den Raum stellt, dass zugesicherte Abgaswerte nicht erreicht werden würden, dass Verbrauchswerte steigen und Leistungswerte sinken würden, kann der Senat weder aus den vertraglichen Unterlagen noch aus dem Vortrag des Klägers eine vertragliche Vereinbarung über bestimmte Abgas-, Verbrauchsund/oder Leistungswerte entnehmen. Die einzige vertragliche Regelung, die die Parteien getroffen haben, ist, dass der Wagen die Abgasnorm „Euro 5“ einhält. Hierzu hat die Beklagte vorgetragen, dass sie über ein taugliches Softwareupdate verfügt, das den Mangel beseitigt, und dass dem Maßnahmenplan vom Kraftfahrt-Bundesamt zugestimmt worden ist. Diesem Vorbringen ist der Kläger weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten. Auch ansonsten enthält der Vortrag des Klägers keine konkreten Darlegungen, aus denen der Schluss einer Entbehrlichkeit der Fristsetzung gezogen werden könnte. Insbesondere genügt die pauschale Behauptung, dass Verbrauchswerte steigen und Leistungswerte sinken, auch nicht für eine Darlegung der Unzumutbarkeit der Nachbesserung. Weder wird mitgeteilt, welche Verbrauchs- bzw. Leistungswerte aus Sicht des Klägers eingehalten werden müssten, noch wie sich diese bei einer Nachrüstung nachteilig verändern würden. Dass der Wagen nach einer Nachrüstung immer noch mangelhaft wäre oder einen anderen Mangel hätte, ist damit nicht hinreichend dargetan (vgl. auch BGH, Beschl. v. 08.05.2007 – VIII ZR 19/05 – zum unwesentlichen Abweichen des Kraftstoffverbrauchs von den Herstellerangaben beim Kauf eines Neuwagens). Es fehlt an der Darlegung konkreter Anknüpfungstatsachen seitens des Klägers.

Ergänzend ist festzustellen, dass sich der Kläger zudem auf den schriftlichen Hinweis des Senats zum Vorrang der Nachbesserung nicht fristgerecht erklärt hat. Weiteres Vorbringen ist damit auch verspätet. Abgesehen davon kann der Senat nicht feststellen, dass es „wohl“ zwischenzeitlich nachgewiesen – mit anderen Worten gerichtsbekannt – sei, dass die Nachrüstung mit einem – nicht näher konkretisierten – Mehrverbrauch sowie einem – ebenfalls nicht näher dargelegten – Leistungsverlust verbunden sei, wie der Kläger meint. Soweit sich der Kläger auf den Ausgang anderer Verfahren stützt, ersetzt dies nicht den in einem Zivilprozess erforderlichen Sachvortrag sowie Beweisangebote zu konkreten Tatsachenbehauptungen, wie in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert wurde.

Abgesehen davon ist dem Senat kein Urteil eines anderen Senats des OLG München bekannt, das bei einer vergleichbaren Fallkonstellation einer Klage stattgegeben hätte. Auch einer Kostenentscheidung des 3. Senats vom 23.03.2017 – 3 U 4316/16 –, auf die die Klageseite mutmaßlich abstellt, liegt eine andere Fallgestaltung zugrunde. Dort ging es nicht um die Frage der Entbehrlichkeit einer Fristsetzung, sondern um die angemessene Dauer der Frist zur Nacherfüllung.

d) Darüber hinaus ist nach § 323 V 2 BGB der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung unerheblich ist, das heißt, wenn der Mangel geringfügig ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BGH der Fall, wenn der Mangel behebbar und die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind. Mängel, deren Beseitigung Aufwendungen in Höhe von nur knapp einem Prozent des Kaufpreises erfordern, sind unzweifelhaft als unerheblich i. S. des § 323 V 2 BGB einzustufen, sodass auf sie ein Rücktritt nicht gestützt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 29.06.2011 – VIII ZR 202/10 Rn. 19).

Wie dargelegt ist der Kläger dem Vortrag der Beklagten zur Behebbarkeit des Mangels nicht substanziiertnentgegengetreten (s. oben). Ebenso wenig hat der Kläger den Vortrag der Beklagten, die Kosten für das Aufspielen der neuen Software würden unter 100 € liegen, mithin nicht einmal ein Prozent des Kaufpreises erreichen, bestritten. Auch aus diesem Grund scheidet ein Rücktritt vorliegend aus.

Die Erheblichkeit des Mangels ergibt sich auch nicht, wie der Kläger meint, aus der behaupteten arglistigen Täuschung, weil die Beklagte weder getäuscht hat noch sich Fehlverhalten Dritter (Hersteller) zurechnen lassen muss.

f) Es kann offenbleiben, ob sich die Beklagte auf die Verjährung im Hinblick auf die Abgabe der Rücktrittserklärung berufen kann: Die zweijährige Verjährungsfrist ist, wenn man die Anfechtungserklärung als Rücktrittserklärung auslegt, jedenfalls eingehalten. Die Einrede der Verjährung greift damit nur, wenn die Verjährungsfrist für Sachmängel durch Abschnitt VI Nr. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten wirksam auf ein Jahr beschränkt wurde.

Zwar hat der BGH eine wortgleiche Vertragsklausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärt (BGH, Urt. v. 29.04.2015 – VIII ZR 104/14, NJW 2015, 2244), konkret hat der BGH die fragliche Klausel jedoch nur im Hinblick auf Schadensersatzansprüche für unwirksam erachtet, weil ein Widerspruch zwischen den Regelungen in Abschnitt VI Nr. 1 und VI Nr. 5 und Abschnitt VII der verwendeten Geschäftsbedingungen bestehe. Es stellt sich mithin die Frage, ob wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion im AGB-Recht die gesamte Klausel als unwirksam angesehen werden muss oder ob die Klausel teilbar ist, mithin die einjährige Verjährungsfrist für Sachmängel gilt, nicht jedoch für Schadensersatzansprüche (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 306 Rn. 6 f.), wie der Beklagtenvertreter argumentiert. Da die Berufung des Klägers aus anderen Gründen zurückzuweisen ist, lässt der Senat die Frage der Verjährung ausdrücklich offen.“

Praxis

Diese für die Rechtspraxis enorm wichtige erste oberlandesgerichtliche Entscheidung nimmt zu verschiedenen Rechtsfragen kurz zusammengefasst wie folgt Stellung:

  1. Arglistanfechtung des Käufers gegenüber dem verkaufenden Händler
    Nach Auffassung des OLG München hat der beklagte Händler weder selbst getäuscht noch muss er sich das Wissen des Herstellerkonzerns in Bezug auf Abgasmanipulationen des verkauften Fahrzeugs zurechnen lassen.
  2. Vorliegen eines Mangels
    Das OLG München geht zugunsten des Käufers davon aus, dass das erworbene Fahrzeug nicht die vertraglich vorausgesetzte Beschaffenheit hatte, mithin ein Mangel gegeben ist.
  3. Fristsetzung zur Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB notwendig oder entbehrlich?
    Dem Käufer war in diesem Fall über die Kundeninformation im Verfahren sowie auch noch im Termin zur mündlichen Verhandlung die umgehende Nachrüstung angeboten worden, auf die er allerdings nicht reagierte. Insofern sieht das OLG München eine Fristsetzung als erforderlich an.
  4. Unzumutbarkeit der Nachbesserung
    Das OLG München führt aus, dass die pauschale Behauptung, dass Verbrauchswerte steigen und Leistungswerte sinken, nicht für eine Darlegung der Unzumutbarkeit der Nachbesserung ausreichen.
  5. Unerheblichkeit der Pflichtverletzung
    In diesem Fall war der Käufer dem substantiierten Vortrag des beklagten Händlers, wonach die Mangelbehebungskosten nicht einmal 1 % im Hinblick auf den Kaufpreis betragen nicht entgegengetreten und hatte die vorgetragenen Kosten für das Aufspielen der neuen Software wie dargelegt von unter 100,00 € – mithin nicht einmal 1 % des Kaufpreises – nicht einmal bestritten.
  6. Verjährungsfrage
    Das OLG München problematisiert zwar, ob die in den Gebrauchtwagenverbrauchsbedingungen enthaltene Verjährungsklausel mit der Herabsetzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr möglicherweise wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam ist, lässt allerdings die Verjährungsfrage ausdrücklich offen, da die Berufung – wie oben dargestellt – aus anderen Gründen zurückzuweisen war.
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