Hintergrund
Nach Erhalt des Gutachtens rechnete der Kläger mit Schreiben vom 08.05.2015 gegenüber der Beklagten den Schaden ab. Am 09.05.2015 verkaufte er den verunfallten Pkw zu dem vom Sachverständigen geschätzten Restwert.
Mit Schreiben vom 25.06.2015 übermittelte die Beklagte ein höheres Restwertangebot in Höhe von 3.300,00 €. Die Beklagte regulierte den Schaden unter Abzug des höheren Restwertangebotes.
Die auf Zahlung des restlichen Wiederbeschaffungsaufwandes gerichtete Klage hatte Erfolg.
Hintergrund
Das AG Lübeck führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass die Beklagte lediglich einen Restwert in Höhe von 50,00 € in Abzug bringen durfte.
„Der Kläger hat nicht gegen seine ihm obliegende Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verstoßen, in dem er sein verunfalltes Fahrzeug für den sachverständig festgestellten Restwert in Höhe von 50,00 Euro veräußert hat.
Das Fahrzeug des Klägers hat bei dem streitgegenständlichen Unfall einen Totalschaden erlitten. Im Fall eines sog. Totalschadens, d.h. wenn der Geschädigte sich auf eine Ersetzungsbefugnis seines Pkw nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB beruft, also den Schaden nicht durch Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, kann der Geschädigte den Wiederbeschaffungsaufwand, also den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs abzüglich dessen Restwert verlangen (vgl. dazu Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 249 Rn. 25, BGH NJW 2005, 3134 m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH steht die Ersatzbeschaffung als eine Variante der Naturalrestitution iSd § 249 BGB unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, d.h. der Geschädigte hat bei der Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten (vgl. BGH NJW 2010, 2722ff). Der Geschädigte leistet dabei dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH NJW 2010, 2722ff.). Dabei kann der Geschädigte nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig dann von einer korrekten Wertermittlung durch den Sachverständigen ausgehen, wenn dieser entsprechend der Empfehlung des 40. Deutschen Verkehrsgerichtstages für das Unfallfahrzeug drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt eingeholt hat (s. BGH NJW 2010, 605f.).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Geschädigten bei der Beauftragung des Sachverständigen ausnahmsweise ein (Auswahl-)verschulden zur Last fällt oder er aus sonstigen Gründen dem Sachverständigen misstrauen müsste (s. BGH NJW 1993, 1849ff.). Hierfür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Zweifel an der Sachkompetenz des vom Kläger zur Ermittlung der Schadenshöhe beauftragten Sachverständigen sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Die Beklagte hat auch die Sachverständigenkosten anstandslos bezahlt.
Dem Kläger mussten sich auch trotz des geringen Betrags keine Zweifel an der Richtigkeit des vom Sachverständigen im Gutachten ausgewiesenen Restwerts seines Fahrzeugs aufdrängen. Das Gutachten des Sachverständigen genügt den Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung an eine korrekte Schadensermittlung zu stellen sind. Der Sachverständige hat zur Ermittlung des Restwerts auf dem regionalen Markt bei drei verschiedenen Unternehmen Restwertangebote für das Fahrzeug eingeholt und sodann das höchste Gebot als Restwert ausgewiesen. Der Kläger (als technischer Laie) durfte deshalb darauf vertrauen, dass der Restwert seines Fahrzeugs höchstens 50,00 € beträgt, wenn auch der Sachverständige diesen Betrag aufgrund der eingeholten Angebote für angemessen gehalten hat.
Der Kläger durfte sein Fahrzeug auch für diesen Restwert von 50,00 € verkaufen, ohne damit gegen seine Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB verstoßen zu haben.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte ausnahmsweise gehalten sein, von einer grundsätzlich zulässigen Verwertung seines Unfallwagens Abstand zu nehmen und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen (vgl. BGH NJW 2010, 2722ff.). Jedoch gilt dies nur in engen Grenzen, da dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmöglichkeiten nicht aufgezwungen werden dürfen. Einen Ausnahmefall hat der BGH dort angenommen, wo dem Geschädigten noch vor der Veräußerung des Fahrzeugs von dem gegnerischen Haftpflichtversicherer eine erheblich günstigere Verwertungsmöglichkeit unterbreitet worden ist, die er ohne weiteres hätte wahrnehmen können und deren Wahrnehmung ihm zumutbar gewesen wäre (s. dazu BGH a.a.O).
Vorliegend hat die Beklagte zwar am 28.05.2015 durch ein verbindliches Kaufangebot der Firma Autohaus S. e.K. in L. ein Restwertangebot für das klägerischen Fahrzeugs in Höhe von 3.300,00 Euro erhalten. Jedoch wurde dieses Restwertangebot dem Kläger erst nach Verkauf seines Fahrzeugs seitens der Beklagten unterbreitet.
Der Kläger war auch nicht gehalten, zunächst der Beklagten das Gutachten zur Verfügung zu stellen und abzuwarten, ob die Beklagte ihm ein höheres Restwertangebot für sein Fahrzeug unterbreiten würde. Denn der Geschädigte hat ein berechtigtes Interesse daran, seinen Schaden so schnell wie möglich zu regulieren. Er ist nach dem gesetzlichen Bild des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB bei der Schadensabwicklung der „Herr des Restitutionsgeschehens“ und darf grundsätzlich selbst bestimmen, wie er mit der beschädigten Sache verfährt (s. BGH NJW 1993, 1849, 1850). Deshalb ist der Geschädigte auch nicht verpflichtet, vor der Verwertung des Unfallfahrzeugs der Haftpflichtversicherung das Gutachten zu übermitteln (dazu BGH NJW 2005, 3134, 3135). Das Risiko eines Falschgutachtens geht im Verhältnis zum Geschädigten zu Lasten des Schädigers. Dieser ist jedoch nicht rechtlos gestellt, denn er kann sich an den Sachverständigen halten, wenn er den von diesem festgestellten Restwert für unzutreffend hält.
Für ein Scheingeschäft hinsichtlich des Verkaufs des verunfallten klägerischen Fahrzeugs für 50,00 € oder für ein kollusives Zusammenwirken zwischen dem Kläger und dem Sachverständigen oder dem Kläger und dem Käufer des klägerischen Fahrzeugs zum Nachteil der Beklagten hat die Beklagte weder konkreten Anhaltspunkte vorgetragen noch sind solche ersichtlich.“
Praxis
Auch das AG Lübeck schließt sich der Rechtsprechung des BGH an und lehnt eine Wartepflicht des Geschädigten auf ein eigenes Restwertangebot der Haftpflichtversicherung ab.
Der Geschädigte muss sich gerade nicht den Verwertungsmodalitäten der gegnerischen Haftpflichtversicherung unterwerfen.