Datum 16.02.2017
Category Allgemein
Welche Rechte habe ich bei einem unverschuldeten Unfall?

Hintergrund

Der Kläger kaufte von der Beklagten (Kraftfahrzeughändlerin) einen Gebrauchtwagen. Nach fünf Monaten und einer vom Kläger absolvierten Laufleistung von 13.000 km schaltete die im Fahrzeug eingebaute Automatikschaltung nicht mehr selbstständig in den Leerlauf und der Motor starb ab. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich.

Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mangelbeseitigung trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises sowie Ersatz weiterer Schäden.

Die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Kläger habe nicht den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass das Fahrzeug bereits bei Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe. Es sei lediglich möglich, dass der Freilauf schon bei Übergabe mechanische Veränderungen aufgewiesen habe, die im weiteren Verlauf zu dem eingetretenen Schaden geführt haben könnten.

Auch könne sich der Kläger nicht auf die zugunsten eines Verbrauchers eingreifende Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB berufen, da die Vorschrift lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dahin, dass ein innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe, darstelle. Sie gelte nicht für die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorgelegen habe.

Aussage

Der BGH hat den Anwendungsbereich der Beweislastumkehr nach § 476 BGB zugunsten des Verbrauchers erweitert und so seine bislang zu § 476 BGB entwickelten Grundsätze zugunsten den Käufers angepasst, um sie mit den Erwägungen in dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des EuGH vom 04.06.2015 (AZ: C-497/13) in Einklang zu bringen.

In richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB (Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) lässt der BGH nunmehr die dort vorgesehene Vermutungswirkung bereits dann eingreifen, wenn dem Käufer der Nachweis gelinge, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine „Mangelerscheinung“) gezeigt habe, der die Haftung des Verkäufers wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Der Käufer müsse fortan weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen sei, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers falle.

Der Verkäufer habe den Nachweis zu erbringen, dass die aufgrund eines binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetretenen mangelhaften Zustands eingreifende gesetzliche Vermutung nicht zutreffe. Er habe also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht vorhanden war, sondern der Zustand seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt habe. Gelinge ihm diese Beweisführung nicht hinreichend, greife zugunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB auch dann, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben sei.

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgrund der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Beweislastumkehr aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Weiter führt der BGH aus:

„(c) In Anbetracht dieses Verständnisses der Reichweite der Vermutungswirkung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist eine richtlinienkonforme Auslegung des § 476 BGB auch insoweit geboten, dass bei Auftreten eines akuten mangelhaften Zustands

vermutet wird, dieser habe in einem früheren Entwicklungsstadium schon bei Gefahrübergang vorgelegen (vgl. auch MünchKommBGB/Lorenz, aaO; Lorenz, DAR 2015, 454 f.; Heinemeyer, aaO; Diehl, zfs 2015, 564, 565; Hübner, NJW 2015, 2241; aA Oechsler, BB 2015, 1923, 1924 ff. [nur Anscheinsbeweis für verdeckten Mangel]).

(aa) Der Wortlaut des § 476 BGB lässt eine solche Deutung zu (Lorenz, aaO S. 455; Gsell, aaO S. 451; vgl. auch MünchKommBGB/Lorenz, aaO § 476 Rn. 4; Staudinger/Matusche- Beckmann, BGB, Neubearb. 2013, § 476 Rn. 31).

(bb) Ein dieser Deutung entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ist aus den Gesetzesmaterialien nicht herzuleiten. Die Vermutung in Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sollte ausweislich der Gesetzesbegründung unverändert übernommen werden (BT-Drucks. 14/6040, aaO). Auf die in der Begründung zum Vorschlag einer Richtlinie (KOM[95] 520 endg., S. 14 = BR-Drucks. 696/96, S. 13) anklingende Beschränkung der Beweislastumkehr auf eine in rein zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, die der Gerichtshof nicht für ausschlaggebend erachtet hat und auch mit keinem Wort erwähnt (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-497/13, aaO Rn. 54, 72 ff. – Faber), geht die Gesetzesbegründung nicht ein. Dagegen führt sie das in der Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie erwähnte Bedürfnis, beim Verbraucher bestehende Beweisschwierigkeiten zu überwinden, ausdrücklich als Zielsetzung des § 476 BGB an (BT-Drucks. 14/6040, aaO; vgl. auch Senatsurteile vom 11. November 2008 – VIII ZR 265/07, aaO Rn. 15; vom 22. November 2004 – VIII ZR 21/04, aaO; vom 14. September 2005 – VIII ZR 363/04, aaO). Daher ist auch hinsichtlich der vom Gerichtshof Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entnommenen Erstreckung der Vermutungswirkung darauf, dass der fristgerecht zu Tage getretene mangelhafte Zustand in einem früheren Entwicklungsstadium – sei es bloß als ein ihn später auslösender latenter Mangel oder schon als Anfangsstufe des eigentlichen Sachmangel– bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat, ein Wille des Gesetzgebers zur richtlinientreuen Umsetzung anzunehmen.

Die von der Senatsrechtsprechung bislang vorgenommene Unterscheidung zwischen akutem Mangel und latentem Mangel wird damit obsolet (so auch Wagner, ZEuP 2016, 87, 99). Ebenfalls ohne praktische Bedeutung ist die neuerdings im Gefolge der Entscheidung des Gerichtshofs vom 4. Juni 2015 (C-497/13, aaO – Faber) diskutierte Frage, ob die Vermutungswirkung sich nur auf die Anfangsstufe eines später eingetretenen Mangels (so wohl Sagan/Scholl, aaO; Hentschel, EWiR 2015, 541, 542) oder auch einen diesem vorgelagerten Grundmangel erstreckt (MünchKommBGB/Lorenz, aaO; Lorenz, aaO S. 455; Koch, JZ 2015, 834, 837; Gsell, aaO; Ruckteschler, aaO S. 534, 536; Diehl, aaO; Gutzeit, JuS 2016, 459, 461; Wagner, aaO). Denn der vom Gerichtshof gewählte allgemeine Begriff („im Ansatz“; „in embryonic form“) erfasst aufgrund seines weiten Bedeutungsgehalts beide Fallgestaltungen.“

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