Datum 14.02.2017
Category Allgemein

Hintergrund

Im Fall des OLG München als Berufungsinstanz ging es um einen Unfall vom 04.03.2015 auf einer Ortverbindungsstraße. Die Klägerin als Versicherungsnehmerin der beklagten Vollkaskoversicherung behauptet, mit ihrem Pkw wegen einer plötzlichen Bewegung auf der Fahrbahn erschrocken zu sein und nach links auf die Gegenfahrbahn gelenkt zu haben, wo sie mit dem entgegenkommenden Pkw zusammengestoßen sei.

Die beklagte Vollkaskoversicherung der Klägerin lehnt eine Zahlung ab. Im Wesentlichen begründet sie dies damit, dass nach ihrer Auffassung ein absichtlich herbeigeführter Unfall vorliege.

Das LG München wies nach teilweiser Beweisaufnahme die Klage ab, weil die Klägerin einen vollkaskoversicherten Unfall mit den sich daraus ergebenden Schäden nicht habe beweisen können.

Die Klägerin verfolgte in der Berufungsinstanz nach einer Teilklagerücknahme Versicherungsbeträge weiter.

Aussage

Das OLG München moniert sehr intensiv die Entscheidung des LG München I und hält sich an die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nicht gebunden, weil konkrete Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit vorgetragen oder ersichtlich wurden. Diese Feststellungen, so das OLG München, sind in entscheidungserheblichen Punkten offensichtlich lückenhaft, widersprüchlich oder unzutreffend.

Aufgrund der Beweisgrundsätze, die das OLG München sehr ausführlich darlegt, soll das Urteil in seinen Entscheidungsgründen im Wortlaut wiedergegeben werden:

„aa) Auf eine sachverständige unfallanalytische Begutachtung des Unfalls wurde ohne Anlass und entgegen dem Antrag der Klägerin (Klageschrift v. 02.08.2015, S. 2 = Bl. 3 d. A.) verzichtet, wie die Berufung richtig ausführt (BB 5 = Bl. 69 d. A.). Diese Entscheidung hätte nicht mit einer (unzulässigen) vorweggenommenen Beweiswürdigung begründet werden dürfen, denn eine Festlegung vor Erholung der Beweise, dass sich die tatrichterliche Überzeugung unabhängig von – noch nicht voraussehbaren – Beweisergebnissen unter keinen Umständen mehr ändern könne, ist dem Zivilprozessrecht fremd. Darüber hinaus übersieht das Landgericht, dass im Streitfall nicht nur die Schadenskorrespondenz maßgeblich ist, sondern auch, ob am Unfallort zur Unfallzeit das klägerseits behauptete Schadensereignis stattgefunden haben kann. Zuletzt kann zwar in Einzelfällen der Sachverständigenbeweis ein ungeeignetes Beweismittel darstellen, wenn er die gewünschte Aufklärung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt liefern kann (BGH NStZ 2009, 48, dagegen umgekehrt: BGH NStZ 1995, 97). Hierfür wäre jedoch vom Erstgericht unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles darzulegen und zu begründen gewesen, dass dem Sachverständigen keine oder keine zureichenden Anknüpfungstatsachen zur Verfügung stehen, und solche auch unter keinen Umständen zu beschaffen sein werden (BGH, a. a. O.). Diese Ausführen fehlen jedoch ebenso wie eine Erläuterung, weshalb der Erstrichter über eigene Sachkunde verfüge (vgl. hierzu BGH VersR 2011, 1432; OLG München, Urteil v. 05.02.2014 – 3 U 4256/13 [juris, Rz. 26-28, 33]), die sich auch auf die Verfügbarkeit und Wertigkeit von Anknüpfungstatsachen hätte erstrecken müssen.

Dagegen kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, sondern liegt eher nahe, dass ein unfallanalytischer Sachverständiger hätte aufklären können, ob die behaupteten Fahrzeugschäden durch den streitgegenständlichen Unfall aus technischer Sicht überhaupt erzeugt werden konnten, ob sich die Unfallschäden mit den Hergangsschilderungen der Unfallbeteiligten vereinbaren lassen, und welche Fahrvorgänge zu einer wirklichkeitsnahen Abbildung des Unfallschadens notwendig oder hinreichend sind. Gleiches gilt für die Fragen, ob den Unfallbeteiligten eine überzeugende Unfallschilderung gelingt, sowie auf Vorhalt der sachverständigen Feststellungen aufrecht erhalten oder widerspruchsfrei erklärt werden kann. Nicht nachvollziehbar ist im derzeitigen Verfahrensstand, warum das Erstgericht insoweit keine weiterführenden Beweisergebnisse erwartet und auch einen Versuch für zwecklos gehalten hat. Dies gilt umso mehr, als Sachverständige aus ihrer Erfahrung und einer Vielzahl ähnlicher Unfälle auch Wahrscheinlichkeitsaussagen und Plausibilitätserwägungen treffen können.

– Sollte der Sachverständige zu dem Ergebnis kommen, dass der behauptete Unfall im fließenden Gegenverkehr aus technischer Sicht nicht stattgefunden oder die festzustellenden – beiderseitigen – Fahrzeugschäden nicht erzeugt haben kann, fände das bisherige Beweisergebnis eine – nun allerdings verfahrensfehlerfrei gewonnene – Stütze.

– Im gegenteiligen Fall hätte die Beklagte mindestens zu beweisen, dass das vorliegende Schadensbild auch durch ein verabredetes Manöver erzeugt worden sein kann und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erzeugt worden ist (KG NZV 2006, 429; OLG Hamm NZV 2006, 89 [„So nicht-Unfall“]; Senat, Urt. v. 07.03.2008 – 10 U 5394/07 [juris, Rn. 21] – anders Senat, Urt. v. 03.07.2007 – 10 U 4855/07 [juris, dort Rn. 21, 22]: dort waren (nur) Teilschäden nicht erweislich auf den ansonsten möglichen Unfallhergang zurück zu führen; KG NZV 2008, 243; Senat, Beschl. v. 01.08.2007 – 10 U 3639/07 [n.v.]; KG NZV 2003, 231).

Alternativ könnte die Beklagte – mit dem Beweismaß des § 286 I 1 ZPO – ein abweichendes Unfallereignis mit einer sich auswirkenden Obliegenheitsverletzung nachzuweisen versuchen …

Da die Klägerin auf den beabsichtigten Verzicht auf sachverständige Begutachtung nicht hingewiesen wurde (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 20.01.2016, S. 14 = Bl. 45 d. A.), muss ein unberechtigtes Übergehen eines Beweisantrags angenommen werden, mit der Folge eines Verstoßes gegen das Verfahrensgrundrecht rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) und somit eines schweren Verfahrensfehlers (s. BGH NJW 1951, 481, Senat, Urt. v. 20.02.2015 – 10 U 1722/14 [juris, Rn. 33]; Urt. v. 10.02.2012 – 10 U 4147/11 [BeckRS 2012, 04212]).

bb) Auf die Vernehmung des Zeuge Q. B. (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 20.01.2016, S. 13 = Bl. 44 d. A.) durfte nicht verzichtet werden (EU 6 = Bl. 57 d. A.), wie die Berufung zutreffend beanstandet (BB 2 = Bl. 66 d. A.). Zwar trifft zu, dass der Zeuge den Unfall selbst nicht erlebt hat, jedoch kann nicht vorab ausgeschlossen werden, dass er über den geistig- seelischen Zustand der Klägerin kurz nach dem Unfall Angaben machen kann. Diesem Beweisgegenstand kann die Erheblichkeit dann nicht abgesprochen werden, wenn – wie im Streitfall – das Landgericht aus ungewöhnlichem und unvernünftigen Verhalten der Klägerin Rückschlüsse auf ihre Glaubwürdigkeit ziehen möchte. Zudem ist eine Wahrunterstellung verfehlt, wenn daraus keine Folgerungen gezogen werden: Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist jeder Unfallbeteiligte nach einem plötzlichen und überraschenden Verkehrsunfall eher „aufgelöst“, als wenn er diesen Unfall geplant und verabredet herbeigeführt hat.

Insgesamt erweisen sich, unter Würdigung aller wesentlicher Umstände des Einzelfalls, das Unterlassen einer Zeugenvernehmung einerseits sowie der Verzicht auf eine unfallanalytische Sachverständigenbegutachtung andererseits als verfahrensfehlerhaft, und schließen aus, dass die Beweiserhebung des Erstgerichts auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (OLG München, Urt. v. 21.02.2014 – 25 U 2798/13 [juris]).

b) Auch die erstinstanzliche Würdigung des Beweisergebnisses ist nicht frei von entscheidungserheblichen Rechtsfehlern. Zwar ist diese Abwägung grundsätzlich ureigenste Aufgabe des Tatrichters (BGH NJW 2015, 74 [75]; BayObLG NZM 2002, 449) während im Berufungsverfahren nicht ausreichend oder erfolgreich sein kann, die Beweisergebnisse des Landgerichts zu bezweifeln und die erstinstanzliche Beweiswürdigung durch eine eigene, vermeintlich bessere ersetzt (BGH VersR 2016, 793) wissen zu wollen. Jedoch ist auch das Berufungsgericht eine (eingeschränkte) Tatsacheninstanz, die eine „fehlerfreie und überzeugende“ und damit „richtige“ Entscheidung sicherstellen soll (BGH NJW 2016, 793). Deswegen ist jeder Tatrichter nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, in einer Gesamtschau der gesamten Beweisaufnahme zu entscheiden, welcher Unfallhergang als erwiesen zu gelten hat (BGH NJW 2015, 74 [75, 76]); er hat dabei den gesamten Inhalt der Verhandlungen, insbesondere die Beteiligtenangaben, auch unter Berücksichtigung sonstiger Beweisergebnisse (BGH NJW 1992, 1966; NJW 1997, 1988) individuell zu würdigen. Danach folgen im Streitfall „konkrete Anhaltspunkte” für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen (BGH NJW 2004, 2751) aus einer zwingend gebotenen unterschiedlichen Wertung (BVerfG NJW 2003, 2524), weil das Berufungsgericht die Erwägungen des Landgerichts für nicht unrichtig hält.

aa) Bereits die zu einem wesentlichen Teil fehlende Beweiserhebung begründet einen durchgreifenden Mangel der Beweiswürdigung mit der Folge, dass eine sachgerechte Prüfung und Bewertung eines vollständigen Beweisergebnisses fehlen (OLG München, Urt. v. 21.02.2014 – 25 U 2798/13 [juris]) und denknotwendig fehlen müssen. Die streitentscheidende Tatsache, dass der Verdacht, der Unfall sei zwischen der Klägerin und der Zeugin Kares verabredet gewesen, nicht ausgeräumt sei, wird auf einen unzureichend ermittelten Sachverhalt gestützt.

bb) Im Übrigen wäre die erstinstanzliche Tatsachen- und Beweiswürdigung nur dann aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden gewesen, wenn das Ersturteil unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls für einen bewusst und gewollt einverständlich herbeigeführten Unfall eine denkgesetzlich mögliche, widerspruchsfreie und nachvollziehbare (BGH NJW 2012, 3439 [3442]; NJW-RR 2011, 270) Begründung gefunden hätte.

Jedoch fehlt eine vollständige und überzeugende Bewertung der Hilfstatsachen, die im Rahmen des Indizienbeweises einzeln zu bewerten, in einer Gesamtschau zu würdigen und darzustellen gewesen wären (Senat, Urt. v. 08.03.2013 – 10 U 3241/12 [juris]; Urt. v. 07.03.2008 – 10 U 5394/07 [juris]; OLG Hamm NZV 1993, 68; KG NZV 2006, 429). Die Glaubhaftigkeit jeder Aussage und die Glaubwürdigkeit jeder Aussageperson sind im Einzelnen zu prüfen, zu bewerten und sachgerecht zu begründen. Soweit das Erstgericht der Zeugin K. Unwilligkeit, und den Angaben der Zeugin und der Klägerin „erstaunliche Dünne“ vorwirft, fehlt eine prüfbare Darlegung, welche Angaben erwartet, jedoch verweigert worden seien. Soweit das Landgericht meint, trotz gewisser Umstände sei nicht glaubhaft, dass die Klägerin die durch sie verursachten Schäden nicht genauer besichtigt habe, wäre – anhand von Erfahrungssätzen – darzulegen gewesen, warum die besonderen Umstände hierfür keine Erklärung bieten können. Soweit zuletzt das Landgericht Abweichungen der Angaben in Einzelheiten als Hinweiszeichen für nicht glaubhafte Darstellungen wertet, wäre auf die Frage einzugehen gewesen, ob nicht Angaben, die in allen Einzelheiten deckungsgleich sind, eher für eine abgestimmte oder verabredete Aussage sprechen.

Zuletzt können zwar – je nach Lage des Einzelfalls – sowohl einige wenige Indizien für eine richterliche Überzeugungsbildung ausreichen, als auch einzelne Umstände ein Gewicht erlangen (OLG Frankfurt a.M. NZV 2010, 623 u. KG NZV 2008, 243: „Werthaltigkeit der Beweistatsachen“), das eine gleichgewichtige Beurteilung aller beschriebenen und etwa sonst vorhandenen Indizien verbietet (BGH NJW 1989, 3161; OLG Karlsruhe NZV 1989, 155, OLG Hamm, VersR 2011, 1125: jeweils für eine tatsachenwidrige Unfallschilderung; OLG Hamm NZV 1988, 143: für eine kaum glaubhafte Schilderung des Unfallhergangs; OLG Celle NZV 1988, 182); solche Sonderfälle müssen jedoch prozessordnungsgemäß festgestellt worden sein, was im Streitfall nicht geschehen ist.

2. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Erstgericht auch entscheidende sachlich-rechtliche Fragen, insbesondere der gegenseitigen Vertragspflichten, sowie der Erweislichkeit und der Auswirkungen etwaiger Pflichtverletzungen, unzureichend beantwortet hat (Hinweise v. 13.06.2016, S. 1/2 = Bl. 70/71 d. A.).

a) Grundsätzlich zutreffend wurde die für die Klägerin streitende Anspruchsgrundlage dem zwischen den Parteien geschlossenen Kraftfahrzeug-Vollversicherungsvertrag entnommen (EU 4 = Bl. 55 d. A.). Ergänzend wird auf die Hinweise des Senats (v. 07.09.2016, Bl. 88/89 d. A., Ziffer II a) verwiesen.

b) Das Erstgericht geht davon aus, dass zusätzliche anspruchsbegründende Tatsachen erforderlich seien und im Bestreitensfalle nachzuweisen gewesen wären (EU 4 = Bl. 55 d. A.).

aa) Jedoch beträfe die Frage, ob sich der Unfall unter den zeitlichen und örtlichen Umständen abgespielt habe, die in der Klage behauptet worden seien, lediglich eine Obliegenheitsverletzung (Senat, Urt. v. 06.05.2011 – 10 U 2362/10 [juris, Rn.19, für § 6 III VVG i.d.b. 31.12.2007 geltenden Fassung]) im Zusammenhang mit der Schadensmeldung (E.1.1., 1.2.) und hätte eine dem Verschuldensgrad entsprechende Leistungskürzung, nicht notwendig eine Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge (E.6.1. I). Beides träte nur dann ein, wenn nicht eine Ursächlichkeit für den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistungspflicht entfallen würde (BGH NJW 2005, 1183; NJW 1976, 371; Senat r+s 1990, 365; OLG Köln r+s 2003, 406; OLG Nürnberg VersR 1997, 484).

bb) Dagegen enthält der Vorwurf, die Klägerin habe den Schaden vorsätzlich herbeigeführt, die tatsächliche Behauptung eines Risikoausschlusses (A.1.5.1.), für welchen kein Versicherungsschutz und somit keine Leistungspflicht bestehe (BGH VersR 1954, 591; NJW 1967, 49; OLG Köln r+s 1999, 496; OLG Frankfurt, Urt. v. 06.12.1995 – 17 U 14/95 [BeckRS 1995, 12512]).

cc) Die Frage, ob der behauptete Unfall die geltend gemachten Schäden zur Folge gehabt habe, beinhaltet wiederum lediglich eine Obliegenheitsverletzung (E.1.1., 1.2.), weil vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zur Aufklärung des Schadensereignisses dann nicht vorliegen könnten (OLG Frankfurt, Urt. v. 10.05.2000 – 7 U 68/99 [BeckRS 9998, 23846]). Andererseits könnte dieser Gesichtspunkt Beweiswert für einen behaupteten Risikoausschluss der vorsätzlichen Schadensherbeiführung gewinnen.

c) Danach bestimmt das sachliche Recht folgende Beweisführungs- und Feststellungslast, die das Landgericht unzutreffend beurteilt hat:

aa) Die Klägerin genügt ihrer Feststellungslast – nicht anders als sonst bei manipulierten Verkehrsunfällen -, schon damit, dass das äußere Erscheinungsbild eines Versicherungsfalles, hier Verkehrsunfalls, unstreitig, zugestanden oder nachgewiesen ist (BGH, Urt. v. 05.12.1978 – VI ZR 185/77 [BeckRS 1978 30381245]; NJW 1997, 1988; r+s 1993, 333; NJW-RR 1997, 663; NVersZ 2000, 87; OLG Stuttgart, Urt. v. 09.07.2008 – 3 U 31/08 [BeckRS 2009, 20460]). Angesichts der Angaben der Klägerin in persönlicher Anhörung und der Aussage der Zeugin K. wäre davon auszugehen, dass am behaupteten Ort und zur behaupteten Zeit ein irgendwie gearteter Zusammenstoß erfolgt sei, sich also der Unfall in der von der Klägerin geschilderten Art und Weise ereignet haben kann. Das Ersturteil zieht lediglich in Zweifel, dass der Unfall in der geschilderten Art und Weise erfolgt sei, enthält jedoch keine Hinweise, von welchem anderen Geschehen eine Überzeugung gefasst wurde (EU 4 = Bl. 55 d. A.). Die Beklagte dagegen scheint einen Zusammenstoß der beteiligten Fahrzeuge nicht zu bestreiten, sondern lediglich die Unfreiwilligkeit dieses Ereignisses, weil ein verabredeter Unfall vorliege (EU 3 = Bl. 54 d. A.). Dies wird im Berufungsverfahren insoweit präzisiert, als nunmehr grundsätzlich in Zweifel gezogen wird, ob die Klägerin überhaupt Fahrerin des Fahrzeugs war. Auch wird nunmehr bestritten, dass an der behaupteten Unfallstelle überhaupt ein Unfall stattgefunden hat. Hierzu wird nunmehr unter Sachverständigenbeweisangebot vorgetragen, das klägerische Fahrzeug sei auf ein stehendes anderes Fahrzeug (Mercedes) aufgefahren worden. Insoweit hat die Klägerin lediglich zu beweisen, dass ihre Ablaufschilderung (technisch) nicht ausgeschlossen und nicht bar jeglicher Lebenserfahrung sei.

bb) Dagegen oblag und obliegt der Beklagten der Beweis, dass der Unfall im Einverständnis der Beteiligten wie behauptet „gestellt“ worden sei und daher keine Entschädigungspflicht auslöse (BGH VersR 1978, 862; OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.02.2009 – 4 U 402/08 [BeckRS 2009, 09331]; OLG Köln VersR 2010, 1361; r+s 2004, 321; OLG Brandenburg, Urt. v. 25.09.2008 – 12 U 202/07 [BeckRS 2008, 21110]; KG Urt. v. 06.02.2006 – 12 U 4/04 [BeckRS 2006, 08492]). Nicht etwa die Klägerin hat zu beweisen, dass ein „echter“ oder „versicherungsbedingungsgemäßer“ Unfall vorliege. Unerheblich ist daher, ob das Gericht die Überzeugung von der klägerischen Unfallschilderung gewinnen konnte, und ob Hilfstatsachen festzustellen waren, die Zweifel an dieser Schilderung wecken konnten (EU 4 = Bl. 55 d. A.). Vielmehr hätte eine Klageabweisung nur damit gerechtfertigt werden können, dass der behauptete Unfall gänzlich nicht stattgefunden habe, der geschilderte Unfallablauf aus technischer Sicht nicht möglich sei und die geltend gemachten Schäden nicht auf dem behaupteten Verkehrsvorgang beruhen können (Senat, Hinweisbeschl. v. 25.08.2014 – 10 U 542/14 [n.v., m. w. N.]). Ebenso ist unter dem Gesichtspunkt der Feststellungslast nicht ausreichend, lediglich Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der unfallbeteiligten Personen und die Glaubhaftigkeit deren Angaben zu hegen (EU 5 = Bl. 56 d. A.). Vielmehr hätte das Landgericht überzeugt sein müssen, dass die Angaben unwahr oder durch sonstige Beweismittel widerlegt seien.

II. Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

1. Eine grundlos unterlassene Beweiserhebung und eine deswegen, aber auch im Übrigen erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung stellen einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat, Urt. v. 31.07.2015 – 10 U 4733/14 [juris, dort Rz. 57, m. w. N.]). Als schwerwiegender Verfahrensfehler erweist sich, dass das Erstgericht die Pflicht zu umfassender Sachverhaltsaufklärung, insbesondere durch Vernehmung eines Zeugen und durch Absehen von einem unfallanalytischen Sachverständigengutachten, verletzt hat.

2. Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, einzelne Beweiserhebungen durchzuführen (Senat, a. a. O.). Vielmehr müssten der gesamte Sach- und Streitstand neu erarbeitet, mehrere Zeugen und eine Partei vernommen, ein unfallanalytisches und ein kraftfahrzeugtechnisches Sachverständigengutachten erholt, sowie die Beweisergebnisse eines Parallelverfahrens ausgewertet und in das Verfahren eingeführt werden. Durch die gebotene umfassende und zum Teil erstmalige Beweisaufnahme würde der Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren vollständigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens (Senat VersR 2011, 549 ff.) gezwungen. Zudem wären ggf. auch zur Höhe des Schadensersatzes erstmals Feststellungen zu treffen (EU 6 = Bl. 79 d. A.) und eine Entscheidung statt der ersten Instanz erforderlich (§ 538 II 1 Nr. 4, 2. Alt. ZPO, Senat NJW 1972, 2048 [2049]).

3. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

III. Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW- RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).

Die Gerichtskosten waren gemäß § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel – nur ein solcher kann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (§538 II 1 Nr. 1 ZPO) – denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt.

§ 21 I 1 GKG erlaubt auch die Niederschlagung von Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens (etwa Senat, Urt. v. 27.01.2012 – 10 U 3065/11 [juris, dort Rz. 12]).“

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